Mitarbeiter kündigen: Ein Gesprächsleitfaden, mit dem du dir danach noch in den Spiegel schauen kannst
Hast du Tinnitus vor Stress? Schlaflose Nächte? Mitarbeiter zu kündigen ist die dunkle Seite der Führung, über die niemand ehrlich spricht. Vergiss HR-Floskeln und Sandwich-Taktiken. Hier ist das exakte Skript und der psychologische Prozess, um menschlich fair zu trennen – ohne daran zu zerbrechen.
Das härteste Gespräch: Wie du jemanden entlässt, ohne daran zu zerbrechen (Ein Skript)
Als ich 2011 meine erste Mitarbeiterin kündigen musste, hatte ich Tinnitus.
Kein Witz. Das Piepen im Ohr begann zwei Tage vor dem Termin und blieb eine Woche.
Ich war damals Country Founder in einem schnell wachsenden E-Commerce-Startup.
HR war völlig überfordert ("Sag einfach, es passt halt nicht, aber wir haben auch keine Erfahrung") und der Founder wollte damit nichts zu tun haben.
Nichts davon half. Ich fühlte mich wie ein Scharfrichter. Ich hatte Angst davor wie ich mit der Bandbreite an möglichen Emotionen in dem Moment umgehen soll. Ich hatte Angst vor möglichen Tränen, vor ihrer Wut, und vor allem davor, als "das Arschloch" wahrgenommen zu werden.
Heute, viele Jahre und leider auch vieler, vieler Kündigungen später (inklusive der Schließung ganzer Abteilungen an einem einzigen Vormittag), weiß ich:
Kündigungen sind keine "Dark Arts".
Es ist keine Bühne für Improvisationstheater.
Es ist eine zutiefst menschliche Situation, die nach Klarheit, Struktur und Würde verlangt. Und Quiet Leader & empathische, introvertierte Führungskräfte sind wie geschaffen diese notwendige Aufgabe in Perfektion durchzuführen - wir haben die Empathie, die Gewissenhaftigkeit und die Klarheit.
Wenn du gerade diesen Artikel liest, hast du wahrscheinlich ein akutes Problem.
Du musst jemanden entlassen. Du fühlst dich elend.
Du suchst nach einem Gesprächsleitfaden, der funktioniert.
Hier ist er. Keine Theorie, nur Praxis.
Die harte Wahrheit vorab: Der Überraschungs-Check
Bevor wir zum Skript kommen, eine Regel, die nicht verhandelbar ist:
Eine Kündigung darf (fast) niemals eine Überraschung sein.
Wenn die Person im Gespräch aus allen Wolken fällt und sagt: "Ich dachte, alles läuft super!", dann hast du als Führungskraft in den Wochen und Monaten davor versagt. Punkt.
Ausnahme: Diebstahl, Betrug oder grobes Fehlverhalten (Sexual Harassment etc.). Regel: Performance-Kündigungen sind das Resultat eines Prozesses.
Wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast (Feedback-Gespräche, PIPs – Performance Improvement Plans), dann weiß die Person bereits, dass es eng wird.
Das Gespräch ist dann nur der formale Schlusspunkt.
Wenn du das nicht gemacht hast, musst du diese Kündigung trotzdem durchziehen – aber nimm die Schuldgefühle als Lehrgeld mit, um es beim nächsten Mal besser zu machen.
Vorbereitung: Das Setting gewinnt
Hier entscheidet es sich ob du professionell Kündigst oder nicht.
Das Gespräch beginnt nicht mit dem ersten Wort, sondern mit dem Kalendereintrag.
FALLE 1 - Die Wochen davor: Es gibt die MitarbeiterInnen die es bis zum Schluss nicht kommen gesehen haben. Aber das ist absolute Ausnahmen wenn du deinen Job als Führungskraft in den Wochen und Monaten davor richtig gemacht hast. Wenn die Person von der Kündigung komplett überrascht ist, war die Vorbereitung nicht ausreichend. Aktive, gute Führung bedeutet konkretes, ehrliches und verständliches Feedback in so einer Form zu geben, dass es bei der Person ankommt und sie eine echte Chance hat es besser zu machen. Halte Entwicklungsziele schriftlich mit konkreten Maßnahmen fest.
Der Zeitpunkt: Niemals Freitag. Einem Menschen am Freitag das Wochenende zu ruinieren und ihn ohne Support-Netzwerk (Kollegen, HR) ins Leere laufen zu lassen, ist grausam. Und auch keinen Termin ‘Personalgespräch’ am Freitag für Montag einstellen - das ist unnötige Quälerei.
Der Ort (Offline): Ein neutraler Raum wie ein Meetingraum. Nicht dein Büro (Machtgefälle), nicht sein Büro (Verletzung der Privatsphäre). Sorge dafür, dass ihr ungestört seid. Manche schlagen Ort außerhalb des Offices vor, was aber in meiner Erfahrung nicht praktikabel ist und mehr Probleme mit sich bringt.
Der Ort (Remote): Remote nur als Notlösung. Kamera an ist klar, aber immer an einem ruhigen Ort ohne Störung. Stelle sicher, dass du eine stabile Verbindung hast. Schalte Slack/Teams-Benachrichtigungen aus. Nichts ist respektloser als ein Ping während einer Kündigung oder das Boarding am Gate im Hintergrund (bereits erlebt).
Die Begleitung: Nimm jemanden von HR oder einen Co-Founder mit. Nicht als "Bodyguard", sondern als Zeuge und für die Formalitäten danach. Du führst das Wort, die andere Person schweigt.
Das Kündigungsschreiben und das Angebot: der wahrscheinlich wichtigste Punkt. Das Kündigungsschreiben und der konkrete Vorschlag wie das Arbeitsverhältnis aufzulösen ist, müssen VOR dem Gespräch glasklar sein. Da gibt es kein “besprechen wir morgen“, “muss ich noch im Detail abklären“ oder “was meinst du?“.
FALLE 2 - Die Kommunikation an das Team/Unternehmen: hier ‘verkacken’ es die meisten Führungskräfte und zwar so gewaltig wie unnötig. Es wird die Erstkommunikation dem gekündigten Mitarbeiter überlassen (und der Flurfunk wird eine andere Geschichte als du erzählen) oder aus Unsicherheit/Stress/Gedankenlosigkeit/Überschätzung gehst du freestyle in die Teamkommunikation und plötzlich werden 1-2 Formulierungen auf die Goldwaage gelegt und dir als Empathielosigkeit ausgelegt. Du musst die Kommunikation ownen - das ist deine Stärke als Quiet Leader.
Der Gesprächsleitfaden (Das Skript)
Viele Führungskräfte versuchen, den Schmerz mit Smalltalk zu betäuben ("Wie war dein Wochenende?").
Tu das auf keinen Fall. Niemals.
Es verlängert die Qual und wirkt unehrlich, wenn du 30 Sekunden später die Bombe platzen lässt.
Geh rein. Setz dich. Schau der Person in die Augen.
Phase 1: Die Nachricht (Die ersten 30 Sekunden)
Dein Ziel ist maximale Klarheit. Keine Weichmacher. Kein Konjunktiv.
Das Skript:
"Hallo [Name], danke, dass du dir die Zeit nimmst. Wir haben entschieden, das Arbeitsverhältnis mit dir zu beenden."
Ja, genau so.
Widerstehe diesem Impuls langsam hinzuführen, die Vergangenheit aufzurollen, … du tust das nur für deine eigene Unsicherheit. Das Gegenüber hat den Braten schon beim Outlook-Invite gerochen und sitzt auf glühenden Kohlen.
Nicht: "Wir denken darüber nach..." Nicht: "Es läuft ja nicht so gut..." Sondern: "Ich habe eine schlechte Nachricht."
Das ist brutal, aber es ist fair. Es gibt dem Gehirn des Gegenübers sofort das Signal: Hier gibt es nichts zu verhandeln.
Phase 2: Die Begründung (Kurz & Faktisch)
Hier passieren die meisten Fehler. Du willst dich rechtfertigen. Du willst erklären, dass du "alles versucht" hast.
Lass es. Je mehr du redest, desto mehr Angriffsfläche bietest du für Diskussionen. Die betroffene Person ist jedoch in einem emotionalen Fight or Flight Mode und gar nicht in der Lage inhaltlich zuzuhören. Sie ist voller Adrenalin und ihr gehen tausend Dinge durch den Kopf von wie es dem Partner erzählen bis hin zu der Scham vor den Kollegen.
Das Skript:
"Wie wir in den letzten [Wochen/Monaten] besprochen haben, haben wir die Ziele im Bereich [X] nicht erreicht. Trotz der Maßnahmen im Performance Plan sehen wir keine ausreichende Entwicklung, die für diese Rolle in der aktuellen Phase notwendig ist. Die Entscheidung ist final."
Benutze das Wort "final". Es ist das wichtigste Wort im ganzen Gespräch.
Phase 3: Die Stille (Der schwerste Teil)
Jetzt hältst du den Mund.
Das ist der Moment, an dem die meisten Quiet Leaders scheitern wollen. Wir wollen die Stille füllen. Wir wollen trösten. Halt es aus.
Zähle innerlich bis fünf. Gib der Person Zeit, den Schock zu verarbeiten. Die Reaktion, die jetzt kommt, bestimmt den weiteren Verlauf.
Szenarien: Wie du auf Reaktionen reagierst
Du kannst nicht kontrollieren, wie jemand reagiert. Aber du kannst kontrollieren, wie du darauf antwortest.
Hier sind die drei häufigsten Archetypen aus meiner Erfahrung:
Szenario A: Der Schock / Die Stille
Die Person starrt dich an oder auf den Tisch. Sagt nichts.
Dein Fehler: Weiterreden ("Wir zahlen dir auch noch XY...").
Deine Taktik: Warte. Wenn es zu lange dauert (länger als 10-20 Sekunden), biete eine Brücke.
Skript: "Ich weiß, das ist eine schwere Nachricht. Nimm dir einen Moment."
Szenario B: Der Verhandler / Der Kämpfer
"Das ist unfair! Ich habe doch erst letzte Woche Projekt X abgeschlossen! Gebt mir noch einen Monat!"
Dein Fehler: In die inhaltliche Diskussion einsteigen ("Ja, aber Projekt Y war schlecht..."). Das führt zu einem endlosen Ping-Pong der Argumente. Du bist hier, um eine Entscheidung zu verkünden, nicht um sie zu finden.
Deine Taktik: Die "Broken Record"-Methode (Schallplatte mit Sprung).
Skript: "Ich höre, was du sagst, [Name], und ich verstehe deine Enttäuschung. Aber die Entscheidung ist getroffen und sie ist final. Wir werden das heute nicht mehr diskutieren."
Wiederhole das notfalls. "Ich verstehe, dass du das anders siehst. Die Entscheidung ist jedoch final."
Szenario C: Die emotionale Eruption (Weinen oder Schreien)
Das ist für empathische Führungskräfte am schwersten.
Bei Tränen: Sei ein Mensch. Biete Taschentücher an (habe immer welche dabei/bereit).
Skript: "Es ist okay. Nimm dir die Zeit." (Kein "Hör auf zu weinen", kein falsches "Alles wird gut").
Bei Wut/Schreien: Bleib ruhig. Werde leiser, wenn die andere Person laut wird.
Skript: "Ich verstehe, dass du wütend bist. Ich möchte dieses Gespräch respektvoll zu Ende führen. Wenn das jetzt nicht möglich ist, machen wir 10 Minuten Pause."
Phase 4: Die Logistik (Der Ausweg)
Sobald die erste Welle der Emotion abgeebbt ist, musst du Führung übernehmen und den Weg nach draußen zeigen.
Unsicherheit erzeugt Angst. Klarheit erzeugt Sicherheit.
Das Skript:
"Mir ist wichtig, dass wir den Übergang fair gestalten. Wir stellen dich ab sofort frei / wir erwarten noch XY bis zum [Datum]. HR hat hier die Unterlagen vorbereitet, in denen alles zu Abfindung, Urlaubstagen und dem Zeugnis steht. Bitte nimm das mit und lies es dir in Ruhe durch. Du musst jetzt hier nichts unterschreiben."
Zwinge niemanden zur sofortigen Unterschrift (außer in extremen Ausnahmefällen). Das wirkt nach Nötigung und ist rechtlich oft wackelig.
Stelle die Person auf jeden Fall für den restlichen Tag frei.
Falls du sicherheitshalber für den Kündigungstag (um den Mitarbeiter vor Affekt-Aktionen zu schützen - nicht so unwahrscheinlich wie du denkst) oder auch die Zeit danach Accounts oder Zugänge temporär (oder permanent) sperren läßt kommuniziere das kurz und knapp so.
Der Abschluss:
"Du kannst jetzt nach Hause gehen und dich sammeln. Wir kommunizieren das im Team heute Nachmittag. Hast du für den Moment noch eine organisatorische Frage?"
Der mentale Twist für dich
Ich weiß, wie du dich fühlst. Du denkst, du bist herzlos. Du denkst, du zerstörst eine Existenz.
Hier ist der Gedanke, der mir geholfen hat, meine Schuldgefühle abzulegen:
Einen Mitarbeiter in einer Rolle zu halten, in der er nicht gewinnen kann, ist grausam.
Es ist grausam für den Mitarbeiter, weil er jeden Tag spürt, dass er nicht genügt. Es zermürbt das Selbstwertgefühl viel nachhaltiger als ein kurzer, scharfer Schnitt. Es ist grausam für das Team, das die fehlende Leistung kompensieren muss.
Eine saubere Kündigung ist oft der Startschuss für diese Person, eine Rolle zu finden, in der sie wieder glänzen kann. Ich habe Mitarbeiter entlassen, die mir zwei Jahre später auf LinkedIn geschrieben haben: "Markus, damals habe ich dich gehasst. Aber es war der Weckruf, den ich brauchte. Ich bin jetzt in einem Job, der mir wirklich liegt."
Das ist das Ziel.
Zusammenfassung für morgen:
Vorbereitung: Dienstag/Mittwoch, neutraler Ort, Zeuge dabei.
Klarheit: "Ich habe eine schlechte Nachricht."
Standhaftigkeit: "Die Entscheidung ist final."
Menschlichkeit: Emotionen aushalten, nicht wegreden.
Prozess: Logistik klären, Ausweg zeigen.
Atme tief durch. Du machst deinen Job.
Und wenn du es mit Respekt und Klarheit tust, kannst du dir danach im Spiegel ansehen. Auch wenn es weh tut.
Nächster Schritt für dich
Hast du das Skript gelesen und spürst immer noch diesen Knoten im Magen, weil dein spezieller Fall komplizierter ist (z.B. Co-Founder, langjähriger Freund)?
Soll ich dir helfen, dieses Skript auf deine spezifische Situation anzupassen und dich auf die möglichen Einwände vorzubereiten (Rollenspiel-Szenario)? Schreib mir einfach den Kontext.