Gehörsturz in Woche 2: Was mein Körper mir bei Amazon über das Impostor-Syndrom beigebracht hat
Es ist Anfang 2015 an einen dieser ekelig feucht kalten Januartage und meine zweite Woche bei Amazon im Norden Münchens.
Ich saß in einem dieser typischen Meetingräume. Glaswände, Whiteboards, smarte Leute, die smarte Dinge sagten.
Ein endloser Strom von Daten, Prinzipien und Abkürzungen, die ich noch entschlüsseln musste.
Äußerlich nickte ich. Machte mir Notizen. Versuchte, die Muster in dieser riesigen, faszinierenden Maschine zu erkennen.
Innerlich lief ein anderer Film. Ein einziges, lautes Rauschen aus drei Sätzen, die in einer Endlosschleife liefen:
„Ich will hier eigentlich gar nicht sein.“
„In wenigen Tagen, spätestens Wochen, fliegt auf, dass ich nicht schlau genug für all das hier bin.“
„Ich muss hier weg.“
Und dann, mitten in einer Präsentation, passierte es.
Ein leises Ploppen im rechten Ohr.
Dann Stille.
Nicht die Stille der Konzentration. Sondern eine taube, hohle Stille. Als hätte jemand den Ton für die rechte Hälfte der Welt abgedreht.
Ich konnte die Lippen des Sprechers sehen, aber die Worte kamen nur noch links an, dumpf und fern. Panik stieg in mir auf. Kalter Schweiß. Ich habe den Rest des Meetings irgendwie überstanden, bin aus dem Office geflohen und direkt zum HNO-Arzt. Die Diagnose: idiopathischer Hörsturz. Ein plötzlicher, unerklärlicher Ausfall des Innenohrs.
Heute, viele Jahre später, weiß ich: Es war nichts Unerklärliches daran.
Es war das klarste Signal, das mir mein Körper je gesendet hat. Eine brutale, aber notwendige Vollbremsung. Mein Körper hatte die Kündigung eingereicht, lange bevor mein Verstand es überhaupt gewagt hätte, darüber nachzudenken.
Die Diagnose hinter der Diagnose: Wenn dein System „Nein“ sagt
Das Impostor-Syndrom ist ein Arschloch.
Es flüstert dir ein, dass du ein Betrüger bist. Dass dein Erfolg nur Glück war. Dass du jeden Moment entlarvt wirst. Bei mir schrie es in diesen ersten Wochen bei Amazon lauter als je zuvor.
Aber was, wenn das Impostor-Syndrom nicht nur ein irrationaler innerer Kritiker ist? Was, wenn es manchmal ein Symptom für eine tiefere Wahrheit ist? Ein Seismograf für einen fundamentalen „Mismatch“ zwischen dir und deinem Umfeld?
Rückblickend war Amazon nicht per se eine „laute“ oder „schlechte“ Kultur. Im Gegenteil. Viele der Prinzipien – das datengetriebene Denken, der Fokus auf Systemverbesserung, die hohen Standards – entsprachen eigentlich genau meiner DNA. Die Zutaten schienen perfekt zu sein.
Das Problem war nicht das Was. Es war das Wie und das Wann.
Ich kam von Westwing, einem Hyper-Growth-Startup, wo Chaos und Reibung durch extrem starke persönliche Beziehungen und Teamzusammenhalt ausgeglichen wurden. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft im Sturm. Bei Amazon fühlte es sich anders an. Jeder war ein hochkompetenter Experte, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Aber eben auch: ein Experte für sich.
Trotz meines Senior-Levels fühlte ich mich wie ein Zahnrädchen in einer riesigen, anonymen Maschine. Ein Zahnrad, das fehlerfrei funktionieren musste, aber dessen Verbindung zum Rest des Motors unklar blieb. Die Beziehungsebene, die für mich als introvertierte und sensible Person der eigentliche Nährboden für Vertrauen und Leistung ist, fehlte. Mein System lief leer.
Der Gehörsturz war keine zufällige Krankheit. Er war die logische Konsequenz. Es war mein Körper, der die eine, entscheidende Frage stellte, die mein Ego sich nicht traute:
„Ist das hier wirklich der richtige Ort und der richtige Weg für dich?“
Die Antwort war ein ohrenbetäubendes Schweigen.
Dein Lackmustest: Die richtigen Zutaten ergeben nicht immer das richtige Gericht
Jeder Hobbykoch kennt das: Du kannst die besten, teuersten Bio-Zutaten kaufen. Wenn du sie aber zur falschen Zeit, in der falschen Reihenfolge oder mit der falschen Methode zusammenwirfst, kommt am Ende trotzdem kein genießbares Gericht heraus.
Im Berufsleben ist es exakt dasselbe.
Ein Job kann auf dem Papier perfekt aussehen: renommierte Firma, spannende Aufgaben, gutes Gehalt, smarte Kollegen. All die richtigen Zutaten. Aber wenn das Wie – die Kultur, die Art der Kommunikation, das Maß an Autonomie und Verbundenheit – nicht zu deinem inneren Betriebssystem passt, wird es dich krank machen. Wenn das Wann nicht stimmt – weil du dich in einer Lebensphase befindest, in der du andere Dinge brauchst als noch vor fünf Jahren –, wird es dich auslaugen.
Die schmerzhafte Erfahrung bei Amazon hat mich einen entscheidenden Hebel gelehrt, den ich heute in meiner Arbeit als Sparringspartner und auch für mich selbst ständig nutze:
Hör auf, deine Kompetenz infrage zu stellen, und fang an, den Kontext zu analysieren.
Das Gefühl, „nicht gut genug“ zu sein, ist oft kein Zeichen für mangelnde Intelligenz oder Fähigkeit. Es ist ein Alarmsignal, das auf einen Mismatch im System hinweist.
Es ist dein Körper, der dir sagt: „Die Energie, die ich hier aufwenden muss, um mich anzupassen, ist langfristig nicht nachhaltig.“
Praktischer Impuls: Führe einen ehrlichen „Rezept-Check“ für deine aktuelle Rolle durch. Nimm dir 15 Minuten Zeit und beantworte nur für dich diese drei Fragen:
Die Zutaten (Das Was): Entsprechen meine Kernaufgaben und die Ziele der Rolle grundsätzlich meinen Fähigkeiten und Interessen? (Die ehrliche Antwort ist meistens: Ja.)
Die Zubereitung (Das Wie): Gibt mir die Art und Weise, wie hier kommuniziert, entschieden und zusammengearbeitet wird, Energie oder raubt sie mir? Fühle ich mich als Mensch mit meinem ganzen System gesehen oder nur als Funktionsträger?
Der Zeitpunkt (Das Wann): Passt diese Herausforderung zu der Person, die ich heute bin? Zu meiner aktuellen Lebensphase, meinen Prioritäten und meinem Energielevel? Oder versuche ich, ein Rezept zu kochen, das vor fünf Jahren perfekt für mich war?
Die Antworten auf diese Fragen sind oft leiser als der brüllende innere Kritiker, aber unendlich viel wahrhaftiger.
Deine Superkraft ist leise – wenn du hinhörst
Als introvertierte, vielleicht hochsensible Führungskraft ist deine Wahrnehmungsfähigkeit für Stimmungen, für unausgesprochene Dynamiken und für systemische Schieflagen extrem ausgeprägt. Die Business-Welt versucht oft, uns das als Schwäche zu verkaufen. Als „zu sensibel“, „zu kompliziert“.
Das ist Bullshit.
Es ist eine Superkraft. Ein eingebautes Frühwarnsystem. Die Herausforderung ist nicht, es abzuschalten, sondern zu lernen, die Signale zu deuten, bevor der Körper die Sicherungen durchbrennen lässt.
Der Gehörsturz hat mich gezwungen, diese Sprache zu lernen. Er hat mich gelehrt, dass wahre Stärke nicht bedeutet, jede Umgebung auszuhalten und sich anzupassen. Wahre, leise Autorität entsteht, wenn du beginnst, Umgebungen zu finden und zu gestalten, die mit deinem System in Resonanz sind. Wo du nicht jeden Tag deine Energie darauf verschwenden musst, eine Rolle zu spielen, sondern sie für die Arbeit einsetzen kannst, die wirklich zählt.
Es geht darum, Klarheit über das eigene Rezept zu gewinnen. Und den Mut zu haben, die Küche zu wechseln, wenn die Zutaten noch so gut sind, aber das Gericht einfach nicht schmeckt.
Das erinnert mich an eine Coachee, eine brillante Head of Engineering in einem schnell wachsenden SaaS-Unternehmen. Sie kam zu mir mit chronischen Nackenschmerzen und dem Gefühl, in den Leadership-Meetings „unsichtbar“ zu sein. Ihre Hypothese: „Ich bin einfach nicht durchsetzungsstark genug.“ In unserer ersten Session haben wir dieses Narrativ seziert. Wir fanden heraus, dass ihre wahre Stärke nicht im lauten Argumentieren lag, sondern in ihrer Fähigkeit, komplexe technische Debatten in präzisen, schriftlichen Zusammenfassungen zu klären. Ihr Hebel war nicht, lauter zu werden, sondern ihre Art der Kommunikation bewusst als strategisches Werkzeug zu nutzen – vor den Meetings. Die Nackenschmerzen wurden weniger, ihr Einfluss als ruhige, klärende Kraft im Team wuchs exponentiell.
Dein „Symptom“ ist vielleicht nicht ein Gehörsturz oder Nackenschmerz, sondern Prokrastination, endlose Grübelschleifen oder das Gefühl, ständig auf die nächste E-Mail reagieren zu müssen. Das Prinzip ist dasselbe: Es ist ein Signal, dass du versuchst, nach den falschen Regeln zu spielen. Wenn du bereit bist, deine eigenen Spielregeln zu definieren, dann lass uns in einer vertraulichen, 45-minütigen Breakthrough-Session genau hinhören. Wir schauen uns an, wo dein größter Energieräuber sitzt und was dein erster, konkreter Schritt sein könnte, um mit deiner leisen Stärke zu überzeugen. Das ist kein Verkaufs-Pitch, sondern echte Arbeit an deinem dringendsten Thema. Buche dir hier deinen Termin.