Über die Angst, im Urlaub als Hochstapler aufzufliegen: Eine ungeschönte Anleitung zum Abschalten für Leader, die es verlernt haben
Ich saß gerade in einem einfachen Holzboot auf dem Kinabatangan River ca. 110km von Sandakan entfernt, im Osten Borneos .
Links und rechts neben mir nur der Dschungel Borneos, erfüllt von den fremden, lauten Rufen von Vögeln, die ich nicht kannte, und ein paar gelangweilten Affen im wahrscheinlich ältesten Regenwald der Wald. Luftfeuchtigkeit, die man fast trinken konnte. Im Augenwinkel immer die sich sonnenden Krokodile auf der anderen Seite des Flusses im Blick.
Eine Reise, monatelang geplant. Ein Traum.
Eigentlich.
In meiner Brust aber war kein Gefühl von Abenteuer. Nur ein Brennen. Eine nervöse, unbändige Energie, die es mir unmöglich machte, auch nur fünf Minuten still zu sitzen. Ein Buch lesen? Keine Chance. Die Seiten verschwammen vor meinen Augen.
Stattdessen der automatische, fast zwanghafte Griff zum Smartphone. News-Scrolling. Trading-Depot checken. Sinnlose YouTube-Shorts. Ein digitales Betäubungsmittel, das für wenige Minuten wirkte, bevor die Unruhe nur noch stärker zurückkam. Meine Partnerin neben mir, spürbar genervt. Und schon war das nächste Problem im Raum.
Mein Körper war in Borneo. Mein Kopf war in einem Katastrophen-Szenario in München.
Dieser Moment war eine brutale Erkenntnis: Ich hatte es verlernt. Das Abschalten. Die Fähigkeit, einfach nur zu sein, ohne zu leisten, zu optimieren, zu kontrollieren. Und ich wusste, ich war nicht der Einzige.
Die Diagnose: Wenn die Arbeit nicht das Problem ist, sondern die Ablenkung
Wir erzählen uns gerne die Geschichte, dass wir einfach zu viel Arbeit haben. Dass der Stress uns in den Urlaub folgt. Aber das ist oft nur die halbe Wahrheit.
Für viele von uns – besonders für introvertierte, sensible Führungskräfte – ist die Arbeit nicht nur eine Belastung. Sie ist auch eine hochwirksame Ablenkungsstrategie. Eine komplexe, fordernde Struktur, die unseren rastlosen Geist und unseren inneren Kritiker beschäftigt. Im Office, in Teams-Calls, in der Hektik des Tagesgeschäfts sind wir so damit beschäftigt, das System am Laufen zu halten, dass wir das leise, aber konstante Grundrauschen der Angst in uns kaum hören.
Im Urlaub fällt diese Struktur weg. Plötzlich ist da: Stille. Leere. Raum. Und in diesen Raum bricht ungefiltert das herein, was wir die restlichen 50 Wochen des Jahres erfolgreich verdrängen.
Das brennende Gefühl in der Brust. Die innere Unruhe. Der Kern des Problems.
Die Wahrheit ist: Der Urlaub macht dich nicht gestresst. Er zeigt dir nur schonungslos, wie gestresst dein Nervensystem bereits ist. Wenn die Wochenenden nicht mehr reichen, um dich zu regulieren, ist das kein Zeichen für einen nötigen Urlaub. Es ist ein Alarmsignal, dass dein inneres Betriebssystem im permanenten roten Bereich läuft.
Praktischer Impuls: Wenn du das nächste Mal diese innere Unruhe spürst, halte für einen Moment inne und stelle dir eine ehrliche Frage: Wovor genau lenke ich mich gerade ab? Benenne das Gefühl. Ist es Angst? Unsicherheit? Das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Allein das Benennen nimmt dem Monster schon ein Stück seiner Macht.
Mein härtester Job: Die Angst, als Hochstapler aufzufliegen
Jahrelang habe ich geglaubt, meine größte Herausforderung sei es, komplexe Go-to-Market-Strategien zu entwickeln, Fundraising-Runden zu closen oder 100 Mitarbeiter zu führen.
Bullshit.
Mein härtester Job war immer die unsichtbare, energiefressende Arbeit im Hintergrund: das Aufrechterhalten des Kartenhauses. Die permanente Sorge, dass ohne mein ständiges Eingreifen, meine Kontrolle und meine 24/7-Verfügbarkeit jemandem auffallen könnte, dass ich gar nicht so gut bin, wie alle denken.
Das ist die Essenz des Impostor-Syndroms. Und der Urlaub ist sein größter Feind.
Wenn du nicht da bist, um jede E-Mail abzufangen, jedes kleine Feuer zu löschen und in jedem Meeting die klügste Frage zu stellen, könnte das System ja weiterlaufen. Vielleicht sogar besser. Oder es könnte kollabieren – und alle würden sehen, dass dein Setup von Anfang an fehlerhaft war. Beides ist für den inneren Hochstapler eine existenzielle Bedrohung.
Also stellen wir vor dem Urlaub sicher, dass wir unentbehrlich bleiben. Wir tüten Projekte nicht so ein, dass sie ohne uns laufen, sondern so, dass an kritischen Punkten Rückfragen an uns nötig sind. Wir schreiben Übergabe-Dokumente, die so komplex sind, dass nur wir sie verstehen. Wir sagen Sätze wie: "Ruf mich an, wenn was ist!", und meinen es todernst.
Das ist keine Führung. Das ist die fortschrittlichste Form der Selbstsabotage. Echte Souveränität beginnt dort, wo du Systeme baust, die so robust sind, dass sie deine Abwesenheit nicht nur aushalten, sondern dafür ausgelegt sind.
Praktischer Impuls: Ändere deine wichtigste Frage vor dem nächsten Urlaub. Statt zu fragen: "Habe ich an alles gedacht?", frage: "Wem vertraue ich, welche Entscheidung zu treffen, während ich weg bin?" Das verlagert den Fokus von deiner Kontrolle auf das Commitment und die Kompetenz deines Teams. Klarheit schlägt hier Lautstärke – und Kontrolle.
Vom Freeze zur passiven Aggression: Wenn das Nervensystem kapituliert
Das Schlimmste an diesem Zustand ist der Kollateralschaden. Die Menschen, die wir lieben, bekommen die Version von uns ab, die wir im Business niemals zeigen würden.
Die Szene wiederholt sich in unzähligen Urlauben: Meine Partnerin fragt: "Schatz, in welches Restaurant gehen wir heute Abend?" Eine einfache Frage. Eine schöne Aussicht. Aber in meinem Kopf löst sie eine Systemüberlastung aus.
Noch eine Entscheidung. Ich kann nicht mehr.
Mein Gehirn geht in den "Freeze"-Modus. Eine Entscheidung, selbst eine banale, fühlt sich an wie die Besteigung eines Achttausenders. Und weil ich diese Überforderung nicht kommunizieren kann (oder will), schlägt sie nach außen durch. Meist passiv-aggressiv.
"Ist mir egal." (Heißt: Bitte nimm du mir das ab, aber triff gefälligst die richtige Wahl.) Oder ich fange an, an allem den Fehler zu finden. Die Haare am Badezimmerboden. Die Art, wie sie das Handtuch aufgehängt hat. Ihre Nähe ist mir zu viel. Ihre Distanz ist mir zu wenig.
Es ist ein mieses Spiel. Ein destruktives Muster. Ich streite über die Restaurantwahl, wenn ich eigentlich über meine Angst, die Kontrolle zu verlieren, reden müsste. Ich kritisiere eine Kleinigkeit, weil ich mich selbst dafür hasse, nicht einfach mal entspannen zu können.
Das ist kein Charakterfehler. Das ist ein überlastetes Nervensystem. Wenn unser System permanent im Kampf-oder-Flucht-Modus ist, verlieren wir den Zugang zu unserem präfrontalen Kortex – dem Teil des Gehirns, der für Empathie, rationale Entscheidungen und Impulskontrolle zuständig ist. Wir reagieren nur noch. Und verletzen dabei die, die uns am nächsten sind.
Praktischer Impuls: Wenn du diesen "Freeze" spürst, bevor du reagierst, probiere diesen Mini-Reset für dein Nervensystem. Atme einmal tief durch die Nase ein, und dann, wenn die Lunge voll ist, schnappe noch einmal kurz nach einem extra Schluck Luft. Atme dann langsam und lange durch den Mund aus. Dieser "physiologische Seufzer" ist der schnellste Weg, deinem Nervensystem das Signal "Gefahr vorüber" zu senden. Manchmal verschafft dir das genau die zwei Sekunden, die du brauchst, um nicht die pampige, sondern die ehrliche Antwort zu geben: "Ich bin gerade total überfordert. Kannst du heute bitte entscheiden?"
Journaling-Impuls: Dein persönlicher Reset
Nimm dir 15 Minuten Zeit, nur für dich. Kein Handy. Nur ein Stift und ein Blatt Papier. Beantworte diese drei Fragen so unzensiert wie möglich:
Welches "Kartenhaus" in meinem Verantwortungsbereich habe ich aus Angst gebaut, enttarnt zu werden?
Was ist die eine Aufgabe oder Entscheidung, die ich vor meinem nächsten Urlaub wirklich zu 100 % abgeben könnte, wenn ich ehrlich zu mir wäre?
Welcher Satz würde mir im Moment der Überforderung im Urlaub mehr helfen als jede pampige Reaktion?
Dein Urlaub muss nicht perfekt sein. Aber er darf echt sein.
Wirklicher Urlaub ist kein Ortswechsel. Es ist ein Zustandswechsel.
Er beginnt nicht, wenn das Flugzeug abhebt, sondern wenn du dir selbst die Erlaubnis gibst, unvollkommen, unproduktiv und für eine Weile nicht die Person zu sein, die alles zusammenhält.
Es geht darum, die Systeme in deinem Leben und deinem Unternehmen so zu gestalten, dass sie auf Vertrauen basieren, nicht auf deiner ständigen Anwesenheit. Es geht darum zu lernen, die Energie deines Nervensystems genauso strategisch zu managen wie dein Budget. Und es geht darum zu akzeptieren, dass deine größte Stärke als leise Führungskraft nicht deine unendliche Belastbarkeit ist, sondern deine Fähigkeit zur tiefen Regeneration.
Damit du nicht nur im Urlaub, sondern auch im Alltag wieder bei dir ankommst.
Wenn du spürst, dass die Angst, die Kontrolle zu verlieren, dein größter Blocker für echte Erholung und nachhaltige Wirksamkeit ist, dann lass uns reden.
Ich habe vor Kurzem mit einem CPO eines schnell wachsenden SaaS-Unternehmens gearbeitet. Er beschrieb genau dieses Gefühl: die Unfähigkeit, im Urlaub abzuschalten, und die Schuld, sein Team "im Stich zu lassen". Unser zentraler Hebel war, seine Rolle neu zu definieren – weg vom unverzichtbaren Problemlöser, der ständig gebraucht wird, hin zum Architekten eines Systems, das ihm vertraut und eigenständig agiert. Sein Feedback nach dem ersten Urlaub war nicht nur, dass er erholt war. Er sagte: "Mein Team ist in meiner Abwesenheit über sich hinausgewachsen."
Ich lade dich zu einer vertraulichen Breakthrough-Session ein. In 45 Minuten arbeiten wir 1:1 an deinem dringendsten Thema. Das ist kein Verkaufs-Pitch, sondern echte, tiefe Arbeit mit dem Ziel, dass du mit einem ersten, spürbaren Schritt in Richtung Klarheit aus diesem Gespräch gehst.